Stellungnahme zum TOLLMANN-Buch

               

Buchrezension

                             
A. u. E. TOLLMANN: Das Weltenjahr geht zur Neige
         

 


      
Vorbemerkung:

Wenn heute von den Problemen des Atomkraftwerks TEMELIN die Rede ist, oder von dem von den "Grünen" forcierten, geplanten Ausstieg der Bundesrepublik DEUTSCHLAND aus der Atomenergie, so muß man den  Weitblick von Alexander TOLLMANN bewundern, dessen Einsatz vor mehr als zwanzig Jahren es zuzuschreiben ist, daß die Republik ÖSTERREICH diese energiepolitische Sackgasse vermieden hat. Ich empfinde für Prof. TOLLMANN als Kämpfer für ein atomfreies ÖSTERREICH ebenso die größte Hochachtung wie für den Menschen Alexander TOLLMANN, der trotz aller Anfeindungen mutig seinen Weg gegangen ist.
Umso mehr bedauere ich es ehrlich, daß ich mich jetzt angesichts des vorliegenden Buches in Widerspruch zu TOLLMANN finde, und noch mehr, daß dieser eine Kritik an konkreten Ansichten für einen persönlichen Angriff hält.    
Freilich heißt es "qui tacet consentire videtur", und da ich zum Inhalt dieses Buches einfach nicht schweigen kann, so muß ich eben sprechen.                
         


    
Rezension:

Wie das Genre der Katastrophenfilme im Kino zu den absoluten Kassenschlagern gehört, so stand auch dieses Buch – das uns in seinem ersten Teil den "Dritten Weltkrieg" ab Juli bzw. August des heurigen Jahres und gleich anschließend den Untergang unseres Teils der zivilisierten Welt durch den Einschlag ("Impakt") eines Himmelskörpers auf der Erde voraussagt –, wochenlang auf den (österreichischen) Bestsellerlisten und sein Verfasser pflegt mitzuteilen, daß er fast nur Zustimmung erfahren habe – was auch nicht wundert, da diese Art von Literatur vor allem in Kreisen rezipiert wird, die selbstreferentiell strukturiert (1) sind.
Alexander TOLLMANN ist ein bekannter Name: wenn er als Naturwissenschaftler (langjähriger, nunmehr emeritierter Vorstand des Instituts für Geologie an der Universität WIEN) auch eher nur dem kleineren Kreis der Erdwissenschaftler vertraut sein mag, so ist er jedoch als verdienstvoller Streiter gegen die Atomkraft und als führende Persönlichkeit im Natur- und Umweltschutz geradezu jedermann ein Begriff.            

Gemeinsam mit seiner mittlerweile verstorbenen Frau Edith hat TOLLMANN nun die Voraussagen der verschiedenen, zumeist recht bekannten "Seher" und "Propheten" analysiert, wobei er zwar einerseits kritisch genug ist, alle möglichen von ihnen als nicht zuverlässig auszuscheiden (bloß NOSTRADAMUS hat bei ihm als "unfehlbar" Bestand), andrerseits betont er dennoch deren Übereinstimmungen und erzeugt somit eine gewisse Atmosphäre apokalyptischer Glaubensbereitschaft. Wenn auch das Wort "Mythos" im Untertitel seines Buches figuriert, so scheint sein Autor doch von der Realität der Prophezeiungen überzeugt, behandelt sie, als ob sie alle voneinander isoliert wären, hinterfragt kaum ihre wechselseitige Beeinflussung und macht sich auch kaum Gedanken über ihre mythologische Struktur (wie es bei allen Völkern Mythen von der Erschaffung der Welt gibt, so gibt es eben auch Endzeitmythen), über Legendenbildung und Erzählgutforschung.            

Was NOSTRADAMUS betrifft, so zitiert TOLLMANN überaus zustimmend die Interpretation eines pensionierten Bundeswehroffiziers namens Friedrich DOEPNER, die dieser unter dem Pseudonym Bernhard BOUVIER in einem obskuren, politisch weit rechtslastigen Kleinverlag publiziert hat, demselben, in dem auch Jan van HELSING (2) seine Bücher herausbringt. Daß die Szenarien, welche BOUVIER-DOEPNER entwirft, angesichts der Weltlage (politisch, militärisch und ökologisch) durchaus möglich sind, bleibt unbestritten; ob hingegen dafür aus den dunklen Centurien des NOSTRADAMUS eine Bestätigung gefunden werden kann, ist eher fraglich. Vielmehr scheint NOSTRADAMUS, wenn man die Geschichte der NOSTRADAMUS-Interpretationen verfolgt, für jede Zeit einen geeigneten Projektionshintergrund abzugeben, aus dem fast nach Belieben interpretiert werden kann.              
Man kann, um das Verhältnis zwischen NOSTRADAMUS und seinen Interpreten zu verdeutlichen, die folgende Metapher verwenden:  das Bild der Zukunft, welches NOSTRADAMUS uns hinterlassen hat, ist ein gigantisches Mosaik, das aber nicht als eigentliches Bild, sondern im wesentlichen nur als  ein Haufen von durcheinandergewürfelten Mosaiksteinchen vorliegt, wobei nun die jeweiligen Interpreten aus den vorhandenen Steinchen nach Belieben ihre demnach unterschiedlich ausfallenden Bilder basteln.             
Was die vereinzelt in der NOSTRADAMUS-Literatur zu findenden überraschend richtigen Aussagen betrifft, so fällt es TOLLMANN, obwohl Naturwissenschaftler, anscheinend nicht ein, eine statistische Überlegung hinsichtlich dieser wenigen "Treffer" anzustellen, und so kommt es zu einer grotesken Überbewertung von einzelnen Voraussagen, die in Wirklichkeit vermutlich bloß auf Zufallstreffer zurückzuführen sind.             

Insbesondere erlauben die Resultate der Parapsychologie – sowohl Fallstudien von Spontanphänomenen, z.B. TENHAEFF’s Sammlung von Kriegsprophezeiungen (3), wie auch die Laborforschung zur Präkognition, z.B. die jüngsten Experimente von Dean RADIN – keineswegs, sich hinsichtlich von "Sehern" und "Prophezeiungen" zwecks Legitimation auf die Parapsychologie zu berufen:  die in Rede stehenden Phänomenbereiche sind toto genere verschieden.                  

Ohne, daß es aus dem Titel hervorgehen würde, enthält das vorliegende Buch aber einen zweiten Teil, der sich ganz zentral mit Anliegen der Parapsychologie befaßt, nämlich zunächst mit Außersinnlicher Erfahrung, sodann mit dem Seelenproblem überhaupt und schließlich mit weltbildartigen Ausblicken bis hin zur Gottesfrage. Leider differenziert TOLLMANN nicht zwischen den Quellen, die er verwendet, und so finden sich hochwissenschaftliche Artikel (z.B. Jessica UTTS) neben fragwürdigem, populären Material. Kritiklos wird alles, was in das vorgefaßte (und vielleicht auch gar nicht unrichtige, bloß so nicht beweisbare) Bild hineinpaßt, kompiliert, z.B. auch die bekannten BACKSTER-Experimente zur Kommunikation Mensch-Pflanze, die wegen meßtechnischer Unzulänglichkeiten in dieser Form einfach nicht haltbar sind. Außerdem gibt’s ein paar falsche Zitate (z.B. "Buchmann" statt BUCHANAN). Mit einem Wort: die Begegnung des Geologen und Paläontologen TOLLMANN mit der Parapsychologie bleibt – leider! – im Unkritischen und (im negativen Sinne) Populären stecken. Es ist ebenso schade, daß die Verfasser nicht vor Drucklegung den Kontakt mit kompetenten Personen, z.B. dem FREIBURGer Institut gesucht haben, wie, daß das Lektorat des angesehenen Verlages BÖHLAU, der immerhin einen Ruf als wissenschaftlicher Verlag zu vertreten hat, hier nicht moderierend eingesprungen ist. Das ist halt leider die Crux mit der Parapsychologie:   aufgrund der mangelnden Etablierung an den europäischen Universitäten bleiben vielfach die potentiellen Ansprechpartner den Bedarfsträgern unbekannt, und das Resultat läßt dann so viel zu wünschen über, daß für den wissenschaftlich interessierten Leser das Bild der Parapsychologie eher negativ erscheinen muß.                  

So erfreulich es an sich ist, daß dieser zweite, genuin parapsychologische Teil des Buches, der in gewisser Form auch die Persönlichkeitsentwicklung und den Erkenntnisweg von Alexander TOLLMANN widerspiegelt, den Fragenkomplex der Parapsychologie in weite Kreise trägt, so bedauerlich ist es, daß hier eine Chance vertan worden ist und dies in so schiefer, im Gegensatz zu den Beteuerungen des Verlags ("auf gesicherter Basis") keineswegs wissenschaftlich haltbarer Grundlage passiert.                         

Der erste Teil des Buches hingegen, der ja auch bei der Wahl des Titels Pate stand, ist aufgrund der Sicherheit, mit der TOLLMANN seine Konsequenzen ziehen zu dürfen glaubt, noch viel problematischer. Es tut sich, was dem Verfasser durchaus klar ist, das Problem auf, wieweit man den Leser mit diesen Weltuntergangsprophezeiungen, die für TOLLMANN ein unabänderliches Geschehen widerspiegeln, konfrontieren und dadurch beunruhigen darf. Da meine Beurteilung von "Sehern" und deren Prophezeiungen anders lautet (nämlich so wie die von Arthur HÜBSCHER [den TOLLMANN übrigens zitiert], daß es bloß eine "Große Weissagung" gäbe, die durch die Zeiten hin immer weitergesponnen, modifiziert und neu erzählt wird – übrigens kann ich nicht verstehen, wie jemand, der das Werk von HÜBSCHER gelesen hat, dann noch so ein Buch wie das gegenständliche überhaupt schreiben kann) als die des Verfassers, komme ich auch zu anderen Schlüssen:  das Werk ist geeignet, bei den Lesern irrationale Ängste zu wecken (statt solche allenfalls abzubauen) und es ist daher vom psychohygienischen Standpunkt aus striktest abzulehnen.             

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1)   Die geradezu sektiererische Struktur des wechselseitigen feed-back untereinander bei gleichzeitiger Abschottung gegenüber Kritik von außen ist z. B. anhand der äußert gereizten Reaktion von DOEPNER auf meine Diskussionsbemerkungen bei einem einschlägigen Symposion im Stift GERAS (im Rahmen des NÖ Donaufestivals) deutlich geworden, der anschließend wörtlich "So etwas ist mir noch nie passiert" gesagt und sich in der Folge noch in Briefen darüber beklagt hat, mit Kritik konfrontiert worden zu sein. Ist der pensionierte Oberst in seinem Leben bisher nur Ja-Sagern begegnet?                      

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2)   Vom "Buch 3", das sich mit Prophezeiungen befaßt, abgesehen, im wesentlichen Weltverschwörungstheorien.  (EWERT-Verlag)                              

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3)   W. H. C. TENHAEFF:  "Orloogsvoorspellingen".   Einen Teil davon habe ich ins Deutsche übersetzt, wobei dieses Material mit einem anderen Werk des Verfassers amalgamiert worden ist. Der deutsche Titel lautet:  "Der Blick in die Zukunft. Präkognition" Universitas, Berlin 1976.                   

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© Peter MULACZ

         

Alexander und Edith (†) Tollmann: Das Weltenjahr geht zur Neige. Mythos und Wahrheit der Prophezeiungen.   Böhlau-Verlag, Wien
ISBN 3-205-98898-1, 512 S., 57 Abb., sFR 44.50, DM 48., öS 336.

     


      

Anmerkung zur Person des Autors:

Gemäß einem Interview in einem österreichischen Printmedium ist TOLLMANN fest davon überzeugt, im Zuge des Impakt-Geschehens unter den Trümmern seiner Burg ALBRECHTSBERG den Tod zu finden.
Gemäß einer Selbstdarstellung im ORF hingegen hat sich TOLLMANN dort jedoch einen Bunker errichtet, wo er das Geschehen zu überleben hofft.
Jedenfalls findet sich TOLLMANNs Name im Programm der 17. Basler Psi-Tage auf der Liste der Referenten; dieser Publikumskongreß, der aus naheliegenden Gründen heuer dem Thema
»Visionen« gewidmet ist, findet Ende November 1999 statt.

An welchen seiner Zukunftsentwürfe glaubt TOLLMANN wirklich?

[Aktualisiert im Juni 1999]

          


         

                    
Mittlerweile – Ende Oktober 1999 – sind die von TOLLMANN
"prophezeiten" kritischen Daten alle schon vorbei.
Wie lautet T
OLLMANNs Stellungnahme nun, "post festum",
angesichts des nicht erfolgten Eintritts seiner Prophezeiungen?
Auf der soeben hinzugefügten neuen Seite "Nach dem Tag 'X'"
finden sich T
OLLMANN
s Erklärungen wörtlich zitiert, 
nebst meinem Kommentar,
was von
TOLLMANNs nunmehrigen Aussagen zu halten ist.

             

         

                    

 

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